Sie zeigte mir die tiefen Bisswunden in ihrer linken und die Beruhigungstablette in ihrer rechten Hand, als sie sagte: «Du, das mit dem Sedieren – also, das hat nicht geklappt.»
Da stand ich nun an einem Sonntagnachmittag im Juni 2010 mit einer Katzentransporttasche in einem Vorort von Berlin und betrachtete die Bissverletzung von Faramees Pflegemutter – nennen wir sie M. aus B. «Sie wollte die Tablette partout nicht nehmen, ich habe alles versucht – naja, du siehst. Und jetzt ist es sowieso zu spät, die Tablette würde nicht mehr rechtzeitig wirken.»
Dass Faramee alles andere als «beruhigt» war, bewies sie anschaulich, als es darum ging, sie in die Transporttasche zu kriegen, um sie in den Flieger nach Zürich mitzunehmen. Eine halbe Stunde lang trotzte sie M.’s Bezirzungen und Einfangraffinessen, rannte hierhin und dann dorthin, duckte sich, täuschte an und – schoss schliesslich zur Tür, wo sie die grosse Freiheit hinter einer kaputten Katzenklappe vermutete.
Bisher relativ untätig, hechtete ich nun zur Tür und schob schnell ein Brett vor die Klappe, um Faramees potenziellen Fluchtweg zu verbarrikadieren, was diese wiederum damit quittierte, dass sie herzhaft in meine linke Hand biss. Das Gute daran: Während sie noch mit ihren Zähnen in meiner Hand verkeilt festhing, konnte sich M. mit einer Decke auf das Tierchen werfen und es endlich in die Tasche packen.
Nachdem wir Schweiss und Blut von uns abgewaschen hatten, war es auch schon höchste Zeit, zum Flughafen aufzubrechen.
Mit einer richtig schlecht gelaunten Katze im Gepäck.
Am Flughafen angekommen, rannten wir zum Gate, wo ich mich von M. und Freunden verabschiedete. Den Weg, der nun vor uns lag, mussten wir alleine gehen: die gefürchtete Gepäckkontrolle.
Während ich vor dem Gepäckscanner in der Warteschlange stand, versuchte ich so wenig wie möglich aus meiner tiefen Bisswunde zu bluten. Diese Katze konnte man nicht mal kurz rausnehmen und durch die Kontrolle tragen – das würden die bestimmt verstehen. Ich war zuversichtlich.
Aber nicht lange.
Mit versteinerter Miene schoben zwei uniformierte Männer freudlos die Gepäckstücke durch den Scanner. Als sie die Katzentransporttasche sahen, meinte der jüngere der beiden mit leerem Blick in breitestem Berliner Dialekt: «Is dat ne Katze? Dann nehmse die ma schön da raus, junge Frau, und tragense die separat durch.»
Ich setzte mein bezauberndstes Lächeln auf, zeigte ihm meine angefressene Hand und erklärte in zuckrigster Stimmlage: «Das wird nicht gehen, diese Katze kann man nicht rausnehmen und herumtragen.»
Er, ohne jede Gemütsregung: «Dann bleibtse hier.»
Ich: «Aber – es wird doch eine Möglichkeit geben, die Katze samt Tasche zu kontrollieren?»
Er: «Na, dann hättense sich ma vorher kundig machen sollen, wa?»
Wäre es nicht so extrem kontraproduktiv gewesen, hätte ich ihn richtig fest verhauen.
Doch stattdessen versuchte ich ihm zu erklären, dass ich das weiss Gott versucht hätte (siehe dazu: «Eiserne Grundsätze, Teil 1»), doch leider gescheitert sei und überhaupt sei das doch Irrsinn – äh, Entschuldigung: unrealistisch –, Katzen an Flughäfen auszupacken. Doch er hörte mir gar nicht zu, stattdessen schob er weiter mit versteinerter Miene Gepäckstücke durch den Scanner.
An Flughäfen vergisst der Passagier ja schnell mal, dass er eigentlich zahlender Kunde und der Flughafen Dienstleistungsbetrieb ist – vielmehr sind die Uniformierten offensichtlich hervorragend darauf gedrillt, einem mit ihrer lustlosen Verachtung das Gefühl zu geben, man sei die überflüssigste Existenz der Welt.
Derweil betrachteten mich die anderen Passagiere etwas interessierter als nötig, wie ich ratlos mit meiner fauchenden Transporttasche in einer sich ausbreitenden Blutlache stand und überlegte, ob es etwas gäbe, was diese Situation noch ungemütlicher machen könnte.
Mir schien, als seien Tage vergangen, bis sich der jüngere der uniformierten Griesgrame endlich meiner erbarmte und meinte, er telefoniere mal und kläre das ab.
Hoffnung keimte in mir – ein Beamter hatte meine Existenz anerkannt.
Nach rund zehn Minuten erschien eine uniformierte Frau, die mir erklärte, der Tierschutz verbiete es, ein Tier durch den Scanner zu schieben, sie sehe aber mein Problem und werde mal schauen. Sie führte uns in einen kleinen Raum, schloss die Tür und griff mit ihrer lederbehandschuhten Hand in Faramees Tasche, aus der es spuckte und fauchte und jaulte. Sie zog schnell ihre Hand wieder raus, sah mich an und meinte: «Ich verstehe.»
Als sie dennoch versuchte, Faramee aus der Tasche zu ziehen, wehrte die sich heftig, drohte zu Boden zu fallen, weshalb ich instinktiv zugriff und erneut gebissen wurde. Daraufhin ging die Frau raus, kam mit einem seltsamen Gerät zurück, fummelte damit in der Tasche herum und meinte dann: «Alles ok.»
Muss ich verstehen, warum man das nicht gleich so gemacht hat?
Ich hatte aber sowieso keine Zeit nachzudenken, als ich zum Gate zurück rannte und mit Faramee als letzter Passagier im Flugzeug verschwand.
Während ich mich mit der tobenden Transporttasche zu meinen Füssen im Flugzeugsitz einrichtete und mir meine aufmerksame Sitznachbarin Taschentücher und Pflaster reichte, wollte ich schon meinen, wir hätten das Schlimmste überstanden.
Doch dann fiel mir ein, was eine Bekannte mir von ihrer Reise mit einer Katze erzählt hatte.
«Wir standen da mit unserer Katze, und der Zöllner wollte uns partout nicht durch lassen – eine Stunde lang hat er mit uns geschimpft. Ich kam mir vor, als versuche ich, waffenfähiges Uran zu schmuggeln.» So die Schilderungen meiner Bekannten, die rund einen Monat zuvor eine Katze aus Spanien geholt hatte. Darum hatte ich die Einfuhrbestimmungen des Bundesamts für Veterinärwesen (BVET) auswendig gelernt, ausgedruckt und mir per E-Mail nochmals bestätigen lassen, was ich brauche und tun muss, um meine neue Katze Faramee gesetzeskonform von Berlin nach Zürich zu importieren. All das hatte meine Bekannte allerdings auch vorgekehrt…
Nach der schweisstreibenden Gepäckkontrolle am Berliner Flughafen stellte ich mich also auf eine schweisstreibende Zollkontrolle am Zürcher Flughafen ein, während ich mich im Flugzeug nicht über mangelnde Aufmerksamkeit beklagen konnte: Sämtliche Sitzreihen vor, neben und hinter uns sahen interessiert zu uns und rundherum erklangen entzückte «Jöös». Ich bedeckte unauffällig meine zerbissene Hand, blickte mich lächelnd um und meinte: «Ja, ganz liebes kleines Kätzchen, ganz, ganz lieb.»

Nach der Landung ging ich mit Faramee schnurstracks in den roten Zollbereich, wie das BVET mich angewiesen hatte. Ich stellte mich auf Ärger ein…
Zehn Minuten später sass ich mit Faramee im Taxi. Der Zoll war überhaupt kein Problem gewesen. Der nette Zöllner wollte nur den Heimtierausweis sehen und las Faramees Chip ein. Wohlweislich durch die Transporttasche hindurch.
Endlich zu Hause, fingen nach rund zwei Stunden allerdings meine Bisswunden an zu tuckern. Vor allem der linke Ringfinger sah ziemlich mitgenommen aus. Ich überlegte, wer mir an einem Sonntagabend um 22 Uhr sagen könne, ob ich mir Sorgen machen muss, und rief bei einer «Helpline für nicht lebensbedrohliche medizinische Notfälle» an.
Die Dame am anderen Ende der Leitung liess sich alles genau erläutern und fasste dann meine Schilderungen zusammen: «Katzenbiss also. Und der betroffene Finger ist dick geschwollen und bläulich-schwarz verfärbt. Aha. Tut er denn weh?»
Ich: «Ja, absolut, das tut er.»
Dame: «Das ist gut.»
Ich: ???
Dame: «Wenn ein Gliedmass bläulich-schwarz ist, dann ist es entweder abgestorben, oder es liegt nur ein Bluterguss vor. Wenn der Finger abgestorben wäre, täte er aber nicht mehr weh, also ist es wohl ein Bluterguss.»
Sie meinte, ich solle mir keine Sorgen machen, nur wenn die Schmerzen stärker würden, solle ich meinen Arzt konsultieren, was ich am nächsten Morgen auch tat. Als mein Hausarzt den Finger sah, wurde er ziemlich blass und meinte: «Sie brauchen die Fingerkuppe noch, oder?» Ich wurde sofort in die Notaufnahme des Unispitals überwiesen, wo ich an den Tropf gehängt und meine Bisswunde ausgekratzt wurde.
Als ich mich im Frühjahr 2010 dazu entschlossen hatte, Faramee zu uns zu holen, war ich darauf vorbereitet worden, dass ich diese Katze wohl niemals würde anfassen können, ohne massive Verletzungen zu riskieren. Möglicherweise würde ich sie auch kaum je sehen, zumal in ihrem Schicksal als vermutlich wild geborene, verwahrloste Strassenkatze nicht vorgesehen war, dass sie jemals in menschliche Obhut kommt. Doch durch überambitionierte Tierschützer war sie von Spanien über Umwege schliesslich in M’s Pflegestelle bei Berlin gelandet, die zu retten versuchte, was wenigstens noch zu retten war: Faramees Leben.
Nachdem Faramee wochenlang in meiner Abstellkammer, dann unter meinem Bett und schliesslich im stillgelegten Kamin wohnte, entschloss sie sich am 15. Januar 2011, dass sie meine Best-buddy-Katze wird. Wir waren seither ein Herz und eine Seele.
Bis zum 11. März 2019.
Ich fliege ja öfter mal nach Berlin, um Verwandtschaft zu besuchen. Aber ohne Katze ist Reisen irgendwie langweilig.
R.I.P geliebte Faramee
❤
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