Erziehung/Tierpsychologie

Einst dachte ich, Tierpsychologie sei Quatsch. Nun weiss ich: Wer einer Katze etwas beibringen will, muss erstmal selbst dazulernen.

Schon eine seelisch unversehrte Katze ist ja nicht unbedingt als «psychologisch unauffällig» einzustufen. So kennen Katzen bekanntlich Mittel und Wege, ihren Bedürfnissen Nachdruck zu verleihen, die zumindest auf eine psychoterroristische Grundveranlagung schliessen lassen: Miauen zu unchristlichen Uhrzeiten, kratzen an Möbeln und Wänden, „Protestpinkeln“ – und was das kätzische Ausdrucks-Repertoire halt so hergibt. Denken Sie auch so? Dann sollten Sie diesen Text bitte aufmerksam zu Ende lesen.

Die Seele einer Katze ist ein zartes Mobile mit zahlreichen Nebensträngen und filigranen Verästelungen: Wenn man aus Versehen irgendwo an eine heikle Stelle tippt, macht es womöglich schon bald an ganz anderer Stelle «plopp» – und schon hat einem die Katze in die Küche gekackt. Das Gute daran: Diese feinstofflichen Mechanismen funktionieren auch umgekehrt in die positive Richtung. Und: Es ist immer unser Fehler. Nie der der Katze.

Eine Katze mit klassischen Methoden wie «Nein!», «Pfui!» oder «Aus!» erziehen zu wollen, ist etwa so nachhaltig wie Seifenblasen züchten. Wenn eine Katze sich unerwünscht verhält, indem sie zum Beispiel regelmässig auf die Kommode springt und die liebevoll arrangierten Porzellanfigürchen zu Boden fegt, kann man schimpfen und toben und die Figürchen jedesmal zusammenleimen und wieder aufstellen – oder man akzeptiert, dass die Katze die Kommode als Rennbahn benutzt. Und schmeisst den Nippeskram einfach weg. Irgendwann wird man es sowieso tun.

Katzen sind aus irgendeinem Grund nicht geneigt, menschliche Massregelung mit eigenem Fehlverhalten in Verbindung zu bringen. Schimpfende Menschen machen Katzen im besten Fall ratlos. Im schlimmeren Fall entwickelt sie tiefes Misstrauen gegen dieses unberechenbare Wesen, das sie täglich füttert und dann beschimpft – und intensiviert ihr „Fehlverhalten“. Nicht aus Protest, sondern aus Hilflosigkeit. Denn sie hat keinen Plan, wie sie unser Gemüt beruhigen kann – und wird immer verzweifelter, uns ihre Botschaft zu überbringen. Und zack: Wieder auf den Badvorleger gekackt.

Wer einer Katze etwas beibringen oder abgewöhnen möchte, hat wesentlich bessere Erfolgsaussichten, wenn er – das Prinzip kurz zusammengefasst – erwünschtes Verhalten belohnt, unerwünschtes dagegen ignoriert. Eine Methode namens Klickern hilft, diese Taktik gezielt einzusetzen: Man regt die Katze zunächst dazu an, etwas relativ Simples zu tun; zum Beispiel auf ein Stöckchen zu hauen. Tut sie wie erhofft, drückt man auf das Klickergerät, das – daher der Name – «klick» macht, und belohnt das Tier mit etwas Leckerem. Da Katzen ja zwar manchmal blöd tun, es aber keineswegs sind, begreifen sie schnell, und der Schwierigkeitsgrad der Übungen kann kontinuierlich gesteigert werden. Ist man sehr ambitioniert und übt mit einer besonders lernbegierigen Katze, kann man ihr mit dieser Methode wahrscheinlich sogar beibringen, «alle meine Entchen» pfeifend rückwärts durch einen brennenden Reifen zu springen. Wenn man das seltsamerweise möchte. Und genau so kann man ihr beibringen, unerwünschtes Verhalten zu unterlassen, indem man ihr alternative Verhaltensmöglichkeiten anbietet und diese entsprechend belobigt.

Bis vor einigen Jahren hatte ich selber keinen Schimmer, was Tierpsychologen den ganzen Tag so tun – aber ich war mir sicher: Bei denen tickts doch nicht richtig. Ich meine: Tierpsychologie – aber hallo?

Heute ist mir diese schlecht informierte Denkweise äusserst peinlich. Denn heute weiss ich vergleichsweise sehr viel mehr über Tierpsychologie bzw. Verhaltenstherapie und meine Meinung hat sich analog zu meinem Wissenszuwachs radikal verändert.

Der Weg zur Erkenntnis ist bekanntlich beschwerlich. So war es auch bei mir. Als ich erstmals mit einer meiner Katzen an einem Punkt war, an dem ich keinen anderen Weg mehr sah, als einen Katzenflüsterer beizuziehen, machte ich einige – öhm… – spezielle Bekanntschaften mit Tierpsychologen, die meine Vorurteile nur bestätigten: alles Spinner. Doch wo Verzweiflung, da ein Wille: Ich suchte weiter. Und die vielleicht grösste Leistung meinerseits: Ich öffnete mich für ein Thema, das ich fast 40 Jahre lang vollkommen grundlos für Humbug gehalten hatte.

Seriöse Verhaltenstherapie ist kein Hokuspokus, wo in Abstimmung mit dem Mondzyklus im Kerzenschein nackt um Regenbogen getanzt wird. Sondern eine sehr praxis- und situationsbezogene Herangehensweise Menschen- und Katzenverhalten in schwierigen Situationen aufeinander abzustimmen – oft sind wir Menschen in einer Problemsituation betriebsblind und sehen gar nicht, warum ein Tier um Hilfe ruft. Manchmal helfen schon kleinste Änderungen im Alltag: Manchmal werden Katzenklos, Kratzbäume oder Schlafplätze neu platziert, manchmal das Verhalten der Tierhalter überdacht. Es ist meist gar nicht so schwer – wenn man mal bereit ist, sich in das Tier hineinzuversetzen, das nicht aus seiner Natur heraus kann – und von uns Haltern in seinem gesamten Lebensumfeld fremdbestimmt wird.

Heute bin ich der Meinung, dass jeder Tierhalter Grundkenntnisse über Verhaltenstherapie haben sollte. Wirklich JEDER. Vor allem aber Katzen-, Hunde- und Pferdehalter. Vermeintlich katzentypische Ängste zum Beispiel wie Tierarzt, Türklingel, Feuerwerk sind oft mitnichten katzentypisch: Wir Katzenhalter haben den Katzen diese Ängste allzu oft überhaupt erst anerzogen. Und vielleicht fände es dann endlich mal ein Ende, dass immer noch arme Katzen zu Erziehungszwecken mit Wasserpistolen malträtiert werden.

Ich habe hier derzeit sechs ehemalige, teils schwerst misshandelte Strassenkatzen, die trotz ihrer Ängste, ihres Misstrauens gegenüber Menschen und all ihren teils wirklich schrecklichen Erfahrungen, friedlich und glücklich zusammenleben, die Wohnung intakt lassen und mich am Wochenende ausschlafen lassen. Mit meinen Kenntnissen über Tierpsychologie wuchs das Wohlbefinden meiner Tiere exponentiell. Meine Katzen haben heute jedenfalls keine Angst mehr vor Besuchern, Staubsaugern, Feuerwerken oder Tierärzten.

Eine huldvolle Verneigung an die Tierpsychologie.

Katzenerziehung
Finger weg von der Sprühflasche!

Buchtipps
Katzenhaltung mit Köpfchen. Christine Hauschild, 2012. Meines Erachtens ein Meilenstein fürs Verständnis von Mensch fürs Katz.
Tierartztraining für Katzen. Christine Hauschild, 2013
Tricktraining für Katzen. Christine Hauschild, 2013
Clickertraining – mehr als Spass für Katzen. Birgit Laser, 2. Auflage 2012

Was macht ein Tierpsychologe eigentlich genau?
Interview mit Tierpsychologin Gloria Isler

Tierpsychologinnen meines Vertrauens
Christine Hauschild (D): Mobile Katzenschule Happy Miez
Gloria Isler (CH): Animalsense
Berufsverband tierpsychologischer Beraterinnen 
und Berater (CH): www.vieta.ch
Suche nach Tierpsychologen/Verhaltenstherapeuten international: Verband der Tierpsychologen und Tiertrainer

Klicker-Tutorial
Wer mehr über Klickertrainig erfahren möchte, findet im Katzentraining-Blog Schritt für Schritt alles leicht verständlich erklärt: Klicker-Tutorial

LouLous Geschichte
Der Wahnsinn hat Methode

5 Gedanken zu „Erziehung/Tierpsychologie

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  4. Tatjana

    Ein schöner Beitrag, für den ich DANKE sagen möchte. Es könnte so viel mehr Menschen mit ihren Katzen geholfen werden (oder umgekehrt?), wenn es nur bekannter wäre, dass es uns – korrekt gesagt – Tierverhaltensberater gibt und dass wir auch wirklich helfen können. Deshalb bin ich besonders glücklich über Beiträge wie diesen. 🙂
    Liebe Grüße aus Hamburg!

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    1. kamikatzezwerglis Autor

      Liebe Tatjana, entschuldige bitte: Normalerweise beantworte ich nach Möglichkeit (Präsenz, Zeit etc.) alle Kommentare hier – im Moment bin ich aber ein wenig absorbiert, daher ging es mir leider unter.

      Es freut mich auch besonders, dass jemandem aus der Branche meine Schilderungen zum Thema gefallen. Ich erlebe es auch inzwischen immer wieder selber, dass Menschen mich plötzlich mit drei Augen und fünf Ohren angucken, wenn ich das Stichwort „Tierpsychologie“ erwähne… Kenn ich, so dachte ich eben früher auch: WTF?

      Aber mich mit dem Thema auseinanderzusetzen, hat für uns alle hier alles zum durchweg Positiven verändert – schier Unmögliches wurde möglich, alles geigt inzwischen hier in besserer Harmonie, es braucht keinen Zorn und keine Verbote, „nur“ Regeln, die von allen eingehalten werden – es könnte so einfach sein 🙂 Und das Witzigste ist, dass mein zunehmendes Wissen über Tierpsychologie auch meinen Umgang mit Menschen sehr zum Positiven beeinflusste – sind wir Menschen am Ende nicht auch „nur“ Katzen? 😉

      Toll, dass du diesen Job machst – sehr wertvoll. Und ich hoffe, dass immer mehr Tierhalter auch erkennen (und zwar frühzeitig, nicht erst, wenns „brennt“), dass euer Wissen hunderttausend Probleme gar nie erst entstehen liesse!

      Herzlich, Iwon & die 7 Zwerge (die immer noch ne Macke haben – aber keinen Stress mehr machen 😉 )

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