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Ein Hoch auf unseren Schutzengel

Zuerst dachte ich an einen schlechten Scherz, als ich letzte Nacht wiedermal in der Notaufnahme des Tierspitals sass. Doch dann erkannte ich die Brillanz des Plans.

Vor nicht einmal einer Woche hatte ich ja berichtet, wie pfauenstolz ich bin, dass das → Foto von Max‘ Pfote in der Wartehalle des Tierspitals Zürich hängt und geschildert, wie oft ich schon verzweifelt eben dort sass und wartete.

Und was tat ich heute Nacht? Genau: In der Wartehalle des Tierspitals sitzen und warten. Erst dachte ich: haha, Schicksal, selten so gelacht, du blöde Nuss.

Inzwischen erkenne ich in all dem einen höheren Plan.

Doch von vorn:

Gestern gegen 21.30 Uhr bereitete ich mir einen Grillspiess und Kartoffeln zu. Ich lasse den Herd kurz unbeaufsichtigt, weil ich im angrenzenden Esszimmer etwas holen möchte und als ich zurück in die Küche komme, ist der Grillspiess weg. Der mutmassliche Täter ist schnell gefunden: Kater Max leckt sich auf der Küchenanrichte sitzend verdächtig genüsslich das zahnlose Schnäuzchen.

Max-Portrait

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Sofort machte ich mich auf die Suche nach dem Holzspiess, der in meinem Abendessen gesteckt hatte. Da ich ihn beim besten Willen nirgends finden konnte, kam ich zum naheliegenden Schluss, er müsse sich im Körperinneren meines Katers befinden.

Keine schöne Vorstellung.

Als ich dem Notruf des Tierspitals das vermutete Dilemma schilderte, meinte die nette Dame am anderen Ende der Leitung, wir sollten besser sofort kommen. Also packte ich (hungrig) den Max (satt) ein und rief ein Taxi.

Und da sass ich also wiedermal.

Wer jetzt meint, es sei doch eher unwahrscheinlich, dass eine Katze einen ganzen Grillspiess inhaliert: Mag sein. Aber nachdem meine Katze Mathilde ihre Lunge mal zum kollabieren brachte, weil sie es bei einem kätzisch-dramatischen Akt des sich Übergebens fertig gebracht hatte, sich Futterreste in die Lungenlappen zu katapultieren, und meine Katze Faramee sich kürzlich einen 12 Zentimeter langen Grashalm durchs Nasenloch schob, an dem sie in der Folge fast erstickte, halte ich in Bezug auf bizarre Unfälle bei Katzen schier alles für möglich.

Doch das eigentlich Unfassbare kommt ja erst noch.

Gegen 4 Uhr morgens war ich wieder daheim – Max hatte ich für weitere Abklärungen in der Klinik lassen müssen. Um 5 Uhr klingelte mein Handy und man erklärte mir, dass Max in einem lebensbedrohlichen Zustand sei, er habe Luft und Blut an Orten, wo keines von beidem hingehört, und dass sie jetzt eine Computertomographie (glaub ich) machen, um den Schaden abschätzen und die Ursache (zu dem Zeitpunkt noch mutmasslich der Holzspiess) finden zu können.

Sie wollten noch wissen, welche Massnahmen zu finanzieren ich bereit wäre. Ich so im Halbschlaf: alle, die Sinn machen und Max bei guter Lebensqualität retten könnten. Die nette Stimme am Telefon: „Das kann aber teuer werden.“ Ich: „Ich weiss. Oh ja, ich weiss. Aber ist ok.“

Gegen 7 Uhr klingelt das Handy erneut, die nette Stimme erklärt mir etwas von Darm und Tumor und schlechten Aussichten. Und nochmal die Frage, was ich zu finanzieren bereit sei. Ich nochmal: „Machen Sie alles, was Sinn macht, ihm Leid erspart und bestenfalls sein Leben rettet. Ich sage nochmals: grün.“

Es gibt im Tierspital-Notfall einen Code:
– Rot = Die Ärzte dürfen von sich aus keine medizinischen Massnahmen treffen, die auch das Budget des Halters empfindlich treffen. Im Zweifel einschläfern.
– Orange = Die Ärzte haben so weit freie Hand bei allem, was sie für lebensrettend halten. Teure Massnahmen aber nur nach Rücksprache.
– Grün: Just go for it – rettet lebenswertes Leben nach allen Regeln der verfügbaren Kunst.

Gegen 10 Uhr rufe ich das Tierspital an: Ich habe inzwischen den Holzspiess hier zu Hause unter einer Decke gefunden. Sauber abgenagt. Er war nie in Max drin.

Gegen 15 Uhr der nächste Anruf, die nette Stimme erklärt mir, dass Max ein Lymphom hat und mind. auf der Lunge und/oder auch Milz auch schon etwas sitzt, was dort nicht sein sollte, dass irgendwas mit seinen Blutplättchen und Leukozyten und seinem Knochenmark nicht ist, wies sein sollte. Eine OP mache im Moment so keinen Sinn, besser Chemo. Ich sitze im Treppenhaus des Büros und heule.

Doch zurück zu Hause wird mir klar: Unser Schutzengel ist ein verdammtes Genie.

Max zeigte keinerlei Symptome, der Tumor war auch nicht ertastbar – wir waren ja gerade erst vor wenigen Tagen zur Tierarztkontrolle, alles war scheinbar prima (und das sind auch verdammt gute Ärzte). Nichts hätte ihn davor retten können, elendiglich an dem Mist zu verrecken.

Ausser eins: Wir schauen in die Katze rein.

Doch wer lässt seine Haustiere schon standardmässig regelmässig durchleuchten?

Eben.

Also hat unser brillanter Schutzengel sich gesagt: Ich muss Iwon irgendwie dazu kriegen, in Max‘ Körper schauen zu lassen – und zwar genau an der richtigen Stelle. Und der einzige Weg, wie ich sie dazu kriegen werde, ist, dass Max scheinbar etwas verschlucken muss, was gefährlich genug ist, dass ein CT nötig wird. Guter Plan so weit. Aber Iwon beobachtet ja ihre Katzen nicht den ganzen Tag mit Argusaugen, die muss ja arbeiten und hat ja auch sonst noch was zu tun.

Also muss es in einem Moment sein, den sie unmissverständlich mitbekommt und als Notfall erkennt. Und dann musste er nur noch warten, bis ich mir einen Grillspiess zubereite.

Jetzt mal ehrlich: Unser Schutzengel ist doch ein raffiniertes Ding?

Ohne diesen Twist wäre ich nicht mit Max ins Spital gefahren und er würde stattdessen langsam und still hier vor sich hin sterben.

Doch so haben wir zumindest eine Chance.

Durch FIV kommen noch einige Unbekannte ins Spiel. Max hat ja wie gesagt irgendwas Ungutes mit dem Knochenmark (fragt mich zur Knochenmarksache nicht genauer: Mein Kopf brennt nach einer weiteren Nacht ohne Schlaf und Hiobsbotschaften und ich hab davon eh keine Ahnung, obwohl unsere Ärzte immer alles sehr geduldig erklären – es leuchtet mir alles ein, das ist, was zählt).

Kurz: Das könnte Lymphom-bedingt oder FIV-assoziativ sein. Im Falle des Ersteren würde eine Chemo das potentiell beheben können. Im Falle des Zweiteren nicht – dann bliebe nur Erlösung. Zudem könne eine Chemo Max erst recht qualvoll umbringen, falls die Knochenmarksache FIV-assoziativ wäre. Jetzt gilt es zunächst herauszufinden, was der Fall ist, bevor man mit der Chemo beginnt.

Ja. Und nun heisst es mal wieder: Gutes denken, vertrauen und vom Besten ausgehen. 

Als ich Max heute im Spital besuchte, wirkte er selber zumindest sehr zuversichtlich, unbeschwert und ja fast schon fröhlich. Die Pflegerin meinte auch, er fresse gut, wickle alle um seine Pfötchen und mache alles top mit. Auch mir hat er wieder seinen Löwenschädel mit voller Wucht in die Fresse gerammt und dabei geschnurrt wie eine kleine Motorsägenfabrik.

Max-Tierspital-1

Es war sehr tröstlich zu erleben, dass er selber unter der aktuellen Situation offenbar null leidet. Dann sollte ich das auch so halten. Es wird gut – auf die eine oder andere Weise.

Schutzengel: Ich verneige mich vor dir und danke dir ❤